Hol über

Hol über!

Hol über! Hol über!

Aus vollem Munde tönte der Ruf über den leise rauschenden Fluß. Aber keine Antwort vom linken Ufer. Alles still. Hol über! klangs noch lauter und ungeduldiger, und ein heller durchdringender Pfiff auf dem gekrümmten Finger gab dem Anrufe weiteren Nachdruck. Alles ruhig.
„Daß dich“ - - knurrte der Mann am Ufer und trammpelte mit den Füßen; denn der Morgenwind pfiff kältend über das Wasser und die Erde war hart vom Frost.
„So ein Fährmann! Liegt sicher noch in den Federn, hört einen wohl, aber rührt sich nicht“. Hannes war Handelsmann. Irdenes Geschirr, im Haushalte des Landmannes sehr gesucht, lag bei ihm auf Lager, ging mit ihm in der Kötze auf die Dörfer. Heute war es freilich anders. Ein Esel, grau wie alle Esel, aber dürr wie eine ausgenommene Ziege, trug die Töpfe in zwei Tragkörben, von denen je einer an einer Seite des mageren Tieres herabhing. Hannes streichelte das magere Tier, um dessen Schatten es kaum einen Prozeß gegeben hätte, das aber dem Herrn ebensowenig Wärme geben konnte. Frierend stand das Tier am zugigen Wasser. Sein Kopf hing traurig zur Erde, mißmutig schnupperte es umher. Vielleicht, daß hier im Sommer eine Distel gestanden hatte.
H - o - l - - - ü - b - e - r!
„Da kann man sich die Lunge aus dem Halse schreien, Lora“, sagte der starke Hannes und schlug mit der flachen Hand das Tier auf den mageren Hals. Liebkosungen war das Tier nicht gewohnt. Mürrisch schlug Lora mit einem Hinterfuße aus, gleichsam als Quittung für die Zärtlichkeit des Herrn.
„Hol über!“
„J - a!“ Lora hatte den Kopf über des Herrn Schulter gelegt und rief mit. Hannes hatte einen guten Kauf gemacht. Lora war offenbar nicht so dumm wie andere Esel. Und daß man auf einen Esel oft eher hört als auf einen an sich anständigen Menschen, dafür hier der schlagendste Beweiß.
Das langgedehnte J - a des Grauen war kaum in der frischen Morgenluft verklungen, und Hannes hatte sich noch nicht vollständig vom Erstaunen über die Anpassungsfähigkeit seines Gefährten erholt, da tönt drüben ein Pfiff.
“Aha! Endlich!“ Hannes nickte. Lore bewegte zum ersten Male die Quaste an der Verlängerung des Rückgrates.
Dann nahte langsam die Gestalt des Fährmanns vom Dorfe her. Die Kette rasselte vom Pfahle in der Kahn. Lui rückte das Primchen in die richtige Backenecke, griff zur zähen Stange, schob bedächtig sein Schifflein zum Ufer hinüber und knirschend fuhr dessen Spitze endlich in den Sand des Ufers.
„Gu’n Morgen!“ - „ „Gu’n Morgen, Hannes, ach du best’s, komest doch sest alleine, ech hätte dech bahle net erkannt. Den Hangel vergressert? Sent wanne host du dann die Kötze on den Krappen gehonken un futterst en Esel?“
Hannes und Lui waren alte Bekannte, gute Freunde. Aber heute morgen hatte Freund Hannes wenig Lust, ein Gevatterngespräch zu halten. Ihn fror an die Füße und über das lange Warten war er verärgert.
Anzüglich sagt er: „Jo, den Hangel vergressert. Wenn ech so lange schlief wie du, wer dos natierlech net meggelech. So lichte wie du verdinnt insereins sin Brot net.“
„Jeder off sinne Ort“! lachte der Fährmann, „awer stigg in! „Was kostet’s!“
„10 Heller fer de Person!“ sagte verwundert der Fährmann, „dos weißt de doch lange, eigentlech meßte ech meh nähmen, ‘s Wasser es groß. Awer bie de mache ech immer ‚ne Usnahme, weißte.“
„Gudd, und der Esel?“
„Gelt als Person.“
„Wos?“ 10 Pennege fer den Esel! Do kann he doch liwer hinger den Scheffe her derch’s Wasser marschieren.“
Der Fährmann zuckte mit den Schultern und griff zur Stange.
„Es es kalt un din Esel dos Wasser net gewunnt,“ sagte er warnend.
„Daß es kahlt es, hon ech bie’n Worten geschpiert,“ sagte boshaft der Hannes, sprang ins Schiff und zog den Grauen am Riemen heran. Die Körbe mit irdener Ware hatte er vorher im Schiffe verstaut. Was die an Fracht kosteten, frug er nicht. Das Schiff stieß vom Ufer. Langsam folgt der Esel. Bis seine Hufe ins kalte Wasser traten. Da war die Gemütlichkeit zu Ende. Weit streckte der Graue seine Vorderbeine von sich, nahm so festen Stand und stand fest, fest wie Ziegenhain!
Der Fährmann lachte innerlich. Hannes lockte, tobte und strafte. Der Esel behielt Stellung und das Schiff kam nicht einen Zoll breit vom Fleck.
Der Stock sauste auf den mageren Rücken des Grauen. Vergebens.
„Na, dos paßt me schlächt,“ sproch der Fährmann, „do hon ech keine Zitt, dressier din’n Esel verher. Ech steche das Scheff zerecke un du nemmest den Esel renn, ech sahd’s verher!“
„Un du fehrste’en immesest?“
„Ech wär en Narre!“
„Wos? 10 Heller fer den Esel? Wenn’s Wasser net so tief wär, ech rett’en newer.“
„Mech dinket, der lisse sech raiiten, kanst du schwemmen?“
Da streckte der starke Hannes seine starken Arme aus und schrie ingimmig: „Wos gelts, ech nehme dos Biest of den Scholler, wos gelt dann de Fahrt, fer wievell Personen?“
„Fer eine!“
Hannes stieg aus, führte das Langohr ans Ufer. Streichelte. Und plötzlich, ehe das renitende Tier sichs versah, stand es, an den Vorderbeinen gehoben, auf der Hinterhand. Rasch drehte sich Hannes auf der eigenen Achse, zog die Vorderbeine des Esels über die Schultern und zog das strampelnde Vieh zum Schiffe. Mit Mühe gelangte er an Bord.
Langsam setzte der Schiffsmann sein Gefährt in Bewegung, langsam, langsam steuerte er zum anderen Ufer. Der Schweiß lief dem Hannes über die Stirn. Seine Waden litten Pein unter dem Strampeln des Grauen. Aber der war fest auf den Schultern gehalten.
J - a! gellte es neben dem Ohr des Händlers.
Der Schiffsmann lachte: „Der Dampfer meldet die Ankunft.“ Er sprang ans Ufer, schlang die Kette um den Pfahl und half dem stöhnenden Fahrgast mit seiner Last ans Ufer.
Dann belud der Hannes seinen Gefährten mit der zerbrechlichen Ware, zog den Beutel und suchte einen glänzenden Nickel. Und wie er die Stirne mit dem blaukarrierten Sacktuch trocknete, stöhnte er laut: „Nie wieder trägt für einen Nickel ein Esel den anderen!“
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(Text in Form und Rechtschreibung seiner Zeit)
Landauf, landab
Geschichte und Geschichten aus dem Waldecker Land
von Christian Fleischhauer
Bad Wildungen, Verlag Ernst Funk Nachf., 1924

Kötze - Rückentragekorb (kennt man auch von den Geschichten um den „Osterhasen“)


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